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Dietrich Böhler

(geb. 5.1.1942 in Berlin-Karlshorst)


Lebens- und Denkweg

Seit Schüler- und zumal Studentenzeit politisch-ethisch engagiert (z. B. Ostermärsche, Kritik der Zivildienst- und Notstandsgesetze, Ökologie, Naturschutz), studierte ich evangelische Theologie, Politologie mit soziologischem „Frankfurter“ Einschlag, Literaturwissenschaften und immer stärker Philosophie in Hamburg, dann in Tübingen, wieder in Hamburg und in Kiel.

Die beiden Tübinger Semester, während derer ich Philosophie bei dem genialen Kenner der Denkgeschichte, zumal des Deutschen Idealismus und der Existenzphilosophie, Walter Schulz und bei dem Metamarxisten sowie Nach-Mystiker Ernst Bloch in mich aufsog, waren die Initialzündung für mein Denken. Die Begegnung mit Bloch mündete, als ich schon einige Semester in Hamburg studierte, 1965 in einen Briefwechsel – aus Anlaß von Jürgen Moltmanns „Theologie der Hoffnung“, die ich in Blochscher Perspektive sehr kritisch rezensierte. Auf Briefe folgten Besuche bei Blochs. Daraus ergab sich rasch eine Freundschaft mit spekulativen und vor allem metamarxistischen Obertönen.

1968 begegnete ich dem Kieler Sprachphilosophen und Ethiker Karl-Otto Apel, dessen Idee einer sprachpragmatischen bzw. kommunikationsbezogenen „Transformation der Philosophie“ mich faszinierte. Dank der Marx-Vorlesung Apels und vor dem Blochschen Motivationshintergrund kam es zu einer marxkritischen Dissertation, und 1970 wurde ich von Professor Apel aufgrund meiner Schrift Metakritik der Marxschen Ideologiekritik. Prolegomenon zu einer reflektierten Ideologiekritik und Theorie-Praxis-Vermittlung (1. Aufl. Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1971, 433 S.) in Kiel promoviert.

So motivierend wie transzendental reflexiv und so einbezogen in die internationale Diskussion, ja eingefuchst im argumentativen Diskurs wie nur einer, zog Apel mich vom ersten Lesen und erst recht vom ersten Hören an in seinen Bann, so daß alsbald klar war: Argumentativer Diskurs à la Apel, das ist die Weiterführung meiner Rezeption „Tübingens“, des Adorno-Habermasschen Frankfurt und meiner Auseinandersetzung mit Marx. Das traf sich glücklich mit Apels Eindruck von Böhlers Versuchen, so daß er, der gerade einen Ruf an die Universität des Saarlandes erhalten hatte, mich anrief und fragte, ob ich Interesse an einer Assistentenstelle in Saarbrücken hätte. Phantastisch: Ein regelmäßiges, nicht auf das mühselige Hin und Her von Radioaufträgen und -honoraren angewiesenes Einkommen stand zu erwarten Die Versorgung der Böhlerfamilie war auf einmal gesichert.

In Saarbrücken begann, trotz der Probleme mit dem dortigen „Platzhirschen“ Professor Karl-Heinz Ilting, eine aufregende und produktive Zeit neben dem genialen Denker und großzügigen Chef Karl-Otto Apel, der mir alle Freiheit ließ.

Nach meiner Zeit als Assistent (seit 1969) und Assistenzprofessor (seit 1972) an der Universität des Saarlandes wurde ich 1975 als Ordinarius an die PH Berlin berufen und hatte dann von 1980 bis 2010 den Lehrstuhl für Praktische Philosophie/Ethik und Wissenschaftstheorie der Sozialwissenschaften an der FU inne. An meinem Lehrstuhl baute ich (vor allem aus eigenen Mitteln und dem Fundus meiner Privatbibliothek) zur Orientierung der Studenten wie auch zu Forschungszwecken eine interdisziplinäre Zukunftsbibliothek auf. 1992 gründete ich  zusammen mit den philosophierenden Unternehmern Dr. Dr. Thomas Bausch und Dr. Dr. Thomas Rusche die Forschungsgruppe Ethik und Wirtschaft im Dialog – EWD mit gleichnamiger Schriftenreihe im LIT-Verlag (Münster), etablierte 1998 die akademische Vereinigung „Hans Jonas-Zentrum e. V.“ und initiierte 2005 das Unternehmen einer „Kritischen Gesamtausgabe der Werke von Hans Jonas“ (Rombach Verlag, Freiburg und WBG, 2010 ff.).

 

Animierend und gewissermaßen provozierend wirkte meine Lehrzeit bei und schließlich meine Freundschaft mit dem Feuerkopf Karl-Otto Apel. Dessen Denkweg hin zu einer sprach- und kommunikationsbezogenen „Transzendentalpragmatik“ kommt einer umfassenden Transformation der Philosophie (Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1973) gleich. Apels Denken ist von einer durchdringenden Systematik, wiewohl es sich vor allem in Auseinandersetzungen (Frankfurt a. M., 1998) bewegt, die an Scharfsinn, Sinnkritik und Aktualität nicht zu überbieten sind.

 

Das Interesse an normativer Ethik (Gerechtigkeitsfragen, Sozialethik, Verantwortungsbegriff, Verantwortung der Philosophie und Wissenschaft im Atom- bzw. hochtechnologischen Zeitalter, Theorie-Praxis-Vermittlung) und an partizipatorisch-republikanischer Politik hielt mich in Atem. Es wurde bald ergänzt durch zwei, einen fruchtbaren Spannungsbogen bildende, andere Interessen, nämlich einerseits an Hermeneutik und Historik, andererseits an Begründung und Legitimation der Philosophie qua Selbstaufklärung und Selbstverantwortung der Vernunft: Idee des Diskurses und Reflexion im Diskurs auf dich/mich als leibhaften Diskurspartner.

Besagte Interessen spiegelten sich zunächst in meinem etwas zu groß angelegten sozial- und rechtsphilosophischen Versuch „Rechtstheorie als kritische Reflexion“, der aus dem von Werner Maihofer und Günter Jahr geleiteten Saarbrücker Forschungskolloquium „Rechtstheorie“ im Wintersemester 1969/70 hervorgegangen ist (Frankfurt a.M., Klostermann, 1971, S. 62-120), und in meinen Lehrangeboten und Aufsätzen bzw. Artikeln der 70er und 80er Jahre, in meiner Konzeption des Funkkollegs Praktische Philosophie/Ethik (1980/81 und in Buchform: 2 Bde. Fischer Taschenbuch, 1984 und 3 Bde. Studientexte bei Beltz, 1984), und in meiner Habilitationsschrift Rekonstruktive Pragmatik. Von der Bewußtseinsphilosophie zur Kommunikationsreflexion (Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1985, 484 S.). Da das alles gleichzeitig stattfand, blieben Überarbeitung und Krankheit nicht aus.

 

In Lehre, Forschung und Engagement versuchte ich, der inneren Dialektik bzw. dem Spannungsbogen der Philosophie gerecht zu werden: Philosophie einerseits als situative und wirkungsgeschichtliche Teilhabe an der realen Traditions- und Kommunikationsgemeinschaft im Weltmaßstab, andererseits aber als logisch universalistische Instanz von Gültigkeitsansprüchen gegenüber einer idealen, nämlich unbegrenzbaren Argumentationsgemeinschaft als dem universe of discourse, in dem allein sinnvolle Argumente zählen. In Seminaren und Vorlesungen – gern mit Überlänge – wollte ich daher beides geben: Einführungen in die Problem-, Begriffs- und Kulturgeschichte und Erprobung reflexiv transzendentaler Argumente. Letzteres in sokratisch-sinnkritischer Reflexion: ‚Überlegen wir, was du und ich, die wir glaubwürdige Argumentationspartner zu sein beanspruchen, nicht sinnvoll bestreiten können. Denn das gilt absolut.‘ – Systematisch dargelegt und dialogisch vorgeführt habe ich das erst nach der Emeritierung in meiner Summe Verbindlichkeit aus dem Diskurs, 2., verb. Aufl. als „Studienbuch“ bei Karl Alber, Freiburg/München 2014 (592 S.).

Die nachhegelsche Idee der Theorie-Praxis-Vermittlung hatte ich in den späten sechziger Jahren als Vermitteltsein der Theorie durch und als aufgegebene Vermittlung der Theorie in gesellschaftliche Praxis rekonstruiert: Metakritik der Marxschen Ideologiekritik, S. 104-108, vgl. 96-98, 108-115 und 243 ff. Die Entfaltung dieser gedoppelten Idee wurde von dem rechtsphilosophischen Maihofer-Schüler, dem von Bloch inspirierten homo politicus et kulinarius Wolf Paul (1935-2021), durch eine herzliche Freundschaft unterstützt. Von dieser Idee und dem späteren dialogreflexiven Modell des argumentativen Diskurses konnte ich (against the stream) in der widerspenstigen Realität der FU und seines Philosophischen Instituts, über meinen Lehrstuhl hinaus, nicht viel verankern. Mit der Einführung eines studium exemplare in der hochtechnologischen Zivilisation scheiterte ich ebenso wie mit dem Versuch, meinen Kollegen eine Berufung des, wie Karl-Otto Apel zu sagen pflegte, „Mozarts der Philosophie“, Vittorio Hösle, schmackhaft zu machen. Die Anstrengung des Prinzipiendenkens, sei es objektiver Idealismus, sei es die von mir verfochtene transzendentale Diskurspragmatik, sei es Jonas’ Metaphysik des Lebens und Geistes, war nicht gefragt. Doch gelang es mir als Dekan (bzw. Altdekan), den zwischen Dialektik und Analytik vermittelnden Sprachdenker und Kenner der Kritischen Theorie Albrecht Wellmer an das Institut zu berufen und sowohl Hans Jonas, den postaristotelischen Denker des Prinzips Verantwortung als auch – nachgerade komplementär – den postkantianischen Diskursphilosophen und Denker der kommunikativen Vernunft, Karl-Otto Apel, zu Ehrendoktoren der Freien Universität Berlin zu machen. Letzteres im Einklang mit der Kurzen Geschichte der deutschen Philosophie (München 2013) von Vittorio Hösle. In mancherlei Arbeit und Engagement unterstützten mich vor allem die philosophierenden Unternehmer Dr. Thomas Bausch und Dr. Thomas Rusche, die einen weiteren Doktortitel bei mir erwarben und nach Wolf Paul zu meinen besten Freunden wurden.

Auseinandersetzungen und Schriftenverzeichnisse finden sich in den mir gewidmeten Festschriften von 2002 (Philosophieren aus dem Diskurs) und 2013 (Dialog – Reflexion – Verantwortung), beide bei Königshausen & Neumann erschienen. Weitergeführt wurde der argumentative, also „liebende Streit“ mit mir in den Diskursbüchern Was gilt? Diskurs und Zukunftsverantwortung (Freiburg/München, Karl Alber) 2019 und Diskursverantwortung in Krisen- und Kriegszeiten (Freiburg/München, Karl Alber) 2023. Beide Bücher sind eigentlich Geschenke für mich. Das Hauptverdienst daran kommt meiner Frau Bernadette zu; als wäre es nicht übergenug, daß sie mich Tag für Tag mit wunderbar erneuertem Glück beschenkt…

 

Informationen zum Jonas-Zentrum, zur interdisziplinären Bibliothek und zur Jonas-Edition: www.hans-jonas-zentrum.de.

Siehe auch die Seite des Ehrenvorsitzenden auf der Homepage des Hans Jonas-Zentrums Siegen

Siehe auch meinen Wikipedia-Eintrag

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